Dicke Wolken schoben sich über die dünne Mondsichel und der Baumfrosch verstummte.
Mit ihm hielt auch alles Andere die Luft an. Eben noch hatten wir dem kakophonischen Konzert der Dämmerung gelauscht und nun war kein Zirpen, Pfeifen und Rufen mehr zu hören und es war kein Luftzug mehr zu spüren, kein Hauch. Nur das Rascheln und Knacken der Äste, die stetig zu Boden fielen, ließ uns wissen, dass wir tatsächlich immer noch da waren, mitten im Dschungel, und noch lebten. Sie waren dort drüben, über dem Fluss, hinter der grünen Wand am Ufer; ich spürte es, ich wusste es.
Die Tagaeri waren in der Nähe: ein indigenes Volk im Amazonas-Regenwald von Ecuador, das sich von den Huaoranis, die ebenfalls hier leben, abgespaltet haben. Ein Volk das mit der Zivilisation nichts zu tun haben möchte, das immer noch so lebt, wie die Einwohner dieses Waldgebiets schon vor tausenden von Jahren gelebt hatten. Eindringlinge werden mit gewaltsamen Drohgebärden daran gehindert weiter vorzudringen und wenn das nicht hilft, als unmissverständliche Botschaft auf Tagaeri-Art umgebracht. Sie lassen viele Speere in den Körpern der Feinde. Ihr Stammesname kommt von Taga, das heißt Speer. Die Huaorani lassen nur vier bis sechs Speere stecken, aber die Tagaeri stechen wieder und wieder zu und lassen bis zu achtzehn Speere in den Bäuchen und Brustkörbe der Opfer zurück. Ihre zwei bis drei Meter langen Speere sind aus dem Holz der Chonta-Palme, ein Holz mit der Festigkeit von Stahl. Sie werden mit dem Farbstoff der Achiota-Frucht rot gefärbt und nur für das Töten von Menschen eingesetzt. Zum Jagen von Tieren nehmen sie ihre langen, schweren Blasrohre. Und nun sind sie hier. Nicht zu hören, nicht zu sehen. Aber sie sind da. Sie lauern drüben am anderen Flussufer.
Vielleicht, wenn wir uns nicht bewegten und lange genug ausharrten, dass sie weiter zögen? Ob wir sie angelockt haben? Wir machten Feuer, grillten Pirañas und unsere einheimischen Führer gaben Jagdgeschichten zum Besten, oder erzählten Anekdoten vom wilden Stamm der Tagaeri die manchmal kolumbianische Bauern verspeisen. Aber das schien alles nur Jägerlatein. Ich lachte laut auf, aber damit wollte ich nur meine Furcht vertreiben und die von Mari, meiner Begleiterin. Man hörte uns sicher schon von Weitem, wir waren viel zu laut, mucho ruido.
Das Feuer war inzwischen niedergebrannt, das gesammelte Holz war verbraucht und es wurde langsam kühl. Die Dunkelheit war hautnah zu spüren und ich hörte den Atem von Mari. Den unserer Führer nicht. Es schien als ob sie gar nicht da waren. Ein Plätschern drang vom Fluss herauf zu uns und ich dachte an Fische. Langsam wendete ich den Kopf, damit mein Nacken nicht zu laut knirschte, und sah nach hinten. Lange blickte ich auf das Loch, dass die beiden Bootsführer hinterlassen haben. Im Wald denkt man oft, man sieht eine Gestalt, die sich dann als Ast oder Baumstumpf entpuppt, hier war es umgekehrt. Ich sah immer noch den Umriss von Cosello, dem jüngeren der Beiden. Er verblasste nur langsam und verschmolz dann für immer mit dem Hintergrund. Dann wieder das leise Plätschern. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich begriff. Wenn die breiten aber dünnen Ruder ins Wasser stechen machen sie kein Geräusch, ihr Ruderschlag ist völlig lautlos, aber manchmal bricht eine Welle am Bug des Kanukos.
Als ich rasch wieder meinen Kopf dem Plätschern zudrehte, sah ich einen länglichen Schatten davon gleiten, unseren Einbaum. Und wir saßen nicht drinnen. Ich nehme an, sie haben uns nicht mitgenommen, weil wir viel zu laut waren, wie Tapire die durchs Unterholz stampfen. Wir hörten nicht, wie sie sich vom Lagerplatz entfernten und sehen konnten wir sie auch nicht, denn unsere Augen und Ohren waren auf das andere Flussufer fixiert. Doch nun war uns vollkommen klar, dass unsere Führer uns fluchtartig verlassen haben.
Dann …
Fortsetzung in Arbeit.