„Als ich Anfang der achtziger Jahre hier in Manaus ankam, kaufte ich einen Baugrund etwas außerhalb am Waldrand. Heute liegt mein Haus mitten in der Stadt, wie du siehst“ erzählt mir der Schweizer Arthur Grolimund , Honorarkonsul für Österreich.
„Ich hatte damals eine Menge Tiere in meinem Garten. Ein paar Hühner, zwei Dobermänner, vierzehn Aras und fünf große Schildkröten. Auf der Größten konnten zweijährige Kinder reiten. Kinder und Erwachsene von ringsum kamen regelmäßig um sich an den Tieren zu erfreuen. Eines Tages besuchte mich ein schweizer Anwalt und brachte eine Kiste in der Größe eines Kindersargs mit. Die Kiste hatte Luftspalten und man konnte ein Tier darin vermuten. „Arthur, willst du mir den kleinen Jaguar abkaufen?“ fragt er mich und ließ mich in den Spalt blicken. Im Inneren sah ich das Kätzchen. „Er ist etwa drei Monate alt.“ meinte der Anwalt. Im trüben Licht erkannte ich, dass sein Fell noch sehr hell war, mit angedeuteten Flecken. „Nein, nein, ich kaufe keine Raubkatze, was soll ich denn damit?“ Damals war der Handel mit Wildtieren innerhalb Brasiliens zwar noch nicht verboten, aber ich wollte einen friedlichen Garten.„Na gut, aber du, ich müsste dringend ein paar Wochen nach Venezuela. Könnte ich das Jaguarweibchen inzwischen deiner Obhut überlassen? Ich hole es in drei Wochen wieder ab, dann zahle ich dir auch die Spesen.“
Also gut, ich nahm die Kiste an mich und baute die Tage darauf einen kleinen Käfig neben meinem Hühnerstall. Die Kleine war recht drollig und wurde bald zum Liebling der Nachbarkinder.Meine beiden Dobermänner wachten im Garten und waren darauf trainiert laut zu geben, wenn etwas Ungewöhnliches passiert. Ich wartete viele Wochen, aber der Anwalt kam nicht wieder. So hatte ich das Tier ohne meinen Willen am Hals. Ich dachte daran es dem Zoo in Manaus zu vermachen. Der war aber gerade im Aufbau und der Zooleitung war das Geld ausgegangen. Also verbrachte das kleine Raubtier seine Tage bei mir in einem kleinen Käfig.
Die Zeit verging und nach anderthalb Jahren war Onca (sprich: onssa), wie man den Jaguar hier in Brasilien nennt, zu einer stattlichen Katze geworden. Inzwischen fraß sie jeden Tag bereits an die zwei Kilo Fleisch. Der Käfig war schon lange zu klein und so baute ich einen Robusteren etwas weiter von den Hühnern entfernt. Am nächsten Tag sollte noch das Tor geschweißt werden, dann wollte ich die Raubkatze übersiedeln.
Es war ungefähr fünf Uhr früh. Ich hörte einen fürchterlich langgezogenen Schrei von dem ich sofort glockenwach wurde. Das war einer meiner Hunde, schoss es mir durch den Kopf. Im nächsten Augenblick war mir klar, dass der Jaguar ausgebrochen sein muss. Ich nahm meine Achtunddreißiger aus der Schublade und schlich mich mit einer Taschenlampe zur Türe in den Garten. Gleich an der Zaunmauer im Gebüsch sah ich sie. Onca hielt einen meiner Hunde zwischen ihren Pranken und biss am Rückgrad herum.
Normalerweise beißt der Jaguar sein Opfer ins Genick oder packt es mit den Zähnen am Kopf. Aber meine Jaguarkatze hatte nie gelernt zu jagen, sie war viel zu früh ihrer Mutter weggenommen worden. Der Hund winselte in Todesangst. Ich schoss ungefähr fünf Mal in Richtung der Tiere und traf dabei die Raubkatze ein oder zweimal in den Kopf. Ein wenig Jaguarblut vermischte sich mit dem des verletzten Dobermanns. Erstaunt blickte mich Onca an. Eine Schrecksekunde lang wussten wir beide nicht, was nun passieren würde. Dann Iiess sie plötzlich von ihrer Beute ab, machte einen Satz auf die Mauer und verschwand im Garten meines Nachbarn. Ich musste die Verfolgung aufnehmen und rannte auf die Straße. Auf der Flucht konnte Onca einen Menschen verletzen oder gar töten. Ich musste sie stoppen.
Inzwischen setzte sie auch noch über einen weiteren Zaun zum nächsten Nachbarn, einem Japaner. Der hatte schon mitbekommen was los war und mit seiner Pistole, Kaliber zweiunddreißig, aus dem Fenster auf das Tier geschossen. Ein Zucken der Flanken zeigte, dass er dabei sicher ein paar Mal den Körper getroffen hatte, was aber überhaupt keine Wirkung zeigte. Inzwischen war Hundegebell aus mehreren Nachbarsgärten angeklungen und Onca lief den Weg zurück, sprang über die Mauern und landete wieder in meinem Garten.
In der Zeit, als ich die Verfolgung aufnahm, erschien mein zweiter Dobermann in der Fabrikhalle neben meinem Haus. Dort wurde zu der Zeit vierundzwanzig Stunden durchgearbeitet. Als Luis, der Vorarbeiter, ein erfahrender Jäger, meinen Hund sah, wie er da stocksteif und zitternd an der Türe stand, wusste er sofort Bescheid. Er rief laut in die Maschinenhalle „Der Onca ist los!“. Sämtliche Angestellten kletterten vor Angst auf die Maschinen. Luis stürmte in sein Büro, wo er seine Rifle an der Wand hängen hatte. Er packte das Gewehr und kramte nach Munition. Als er bei mir im Garten eintraf, hatte ich Onca bereits entdeckt. Sie saß im hinteren unbeleuchteten Teil auf einem Holzstoß, der mit einer Regenplane abgedeckt war. Sie war verletzt und atmete schwer. In einem Augenblick, als sie den Kopf zur Seite drehte, schoss ihr Luis durch das Ohr in den Kopf. Onca war sofort tot.
Mit tut es noch heute leid, dass es so gekommen ist. Onca war ein prächtiges Tier, eine starke Raubkatze. Ich ließ sie häuten und den Kopf präparieren. Heute liegen ihre Überreste als Dekoration in meinem Wohnzimmer.“Der verletzte Dobermann überlebte, hatte aber achtunddreißig Löcher von Zähnen und Krallen in seinem Körper. Als Arthur mir den Schädel Oncas zeigte, bibberte sein neuer Hund, ein Huskie, vor Angst und drückte sich steif gegen die Wand. Der Anblick der Zähne schien ihm einen Schock zu versetzen, obwohl er noch nie eine lebende Raubkatze gesehen hatte.
„ Eines habe ich gelernt“ resümiert Arthur „Wenn du im Dschungel auf einen Jaguar triffst, bist du mit einer Pistole machtlos. Nimm besser ein Gewehr mit, aber ziele gut. Oder hoffe dass du keinem erwachsenen Onca im Wege stehst.“
Nacherzählt von Herbert Heyduck
Gewidmet Richard Kühn zu seinem Vierziger.