Wenn ein Klischee wahr ist, dann jenes, das von Ungeheuern erzählt, die unter unseren Betten wohnen.
Als ich klein war, erlebte ich eine furchtbare Nacht, als so ein Ungeheuer unter meinem Bett erwachte. Es fing wie immer alles harmlos an.Mein Bruder Gerhard, und ich legten uns zur Schlafenszeit ins Bett und spielten noch das alte Raketenspiel, das wir erfunden hatten.
Man lässt mit der Hand eine gedachte Rakete steigen und wessen Rakete zuerst landet, hat verloren.
Wir zählten also den Countdown „Zehn…neun…acht…usw.…vier…ignischn…zwei…eins…siro“Englisch konnten wir noch nicht, aber diese beiden Wörter „Ignition“ und „Zero“ hatten wir aufgeschnappt und uns angeeignet.
Wir sahen uns im Fernsehen oft wie gebannt die Sendungen mit Wernher von Braun oder Heinz Haber an, die uns Bilder von Cape Canaveral brachten. Cape Caneveral, wo sie laufend Raketen in den Weltraum hinaufschickten. Deshalb wussten wir, dass bei „drei“ die Rakete gezündet wird. Der Technische Leiter gibt dazu den Befehl „Ignition“, was uns immer wieder schwer beeindruckt hat.
„Ignition !“ Das war das Zauberwort, mit dem man in den Weltenraum reisen durfte. Dann kam „Zero“. „Zero“ war ultimativ. Bei „Zero“ gab es kein Zurück. Unsere Hände rangen bereits mit der Schwerkraft. Langsam gewann die Raketenspitze den leeren Raum über den Wolken. Wir ahmten mit dem Mund das Geräusch des Düsentriebwerkes nach. „Pffffschschsch“
Und dann plötzlich hatte sich die Rakete von der Erdanziehung befreit und schwebte lautlos im All.
Im Weltall.
Ich wollte damals unbedingt Astronaut werden. Neben meinem Bett hing ein selbst gemachtes Plakat, auf dem ich die Steuerkonsole einer Rakete gemalt hatte. Da waren viele Lichter und Drehknöpfe und auch ein paar Hebel mit runden Griffen.
Irgendwann war der Erste so müde, dass er kurz einnickte und der Arm herunterfiel. Die Rakete war gelandet, der Andere hatte gewonnen. Da ich der Ältere von uns beiden war konnte ich schon länger aufbleiben und gewann daher öfter. Vielleicht hatte ich auch mehr Ehrgeiz nicht einzuschlafen.
Und irgendwann hatte ich die Idee, unser Spiel etwas abzuändern. Wir sollten unsere Raketen nur noch in Gedanken starten und landen lassen. Nun könnte man einwenden, dass man dann seine Rakete einfach oben lässt, womit man gar nicht verlieren kann. Aber zu jener Zeit hörten wir einige Geschichten über verschollene Raketen. Wir wollten nicht, dass unsere Raketen verloren gingen. Sie waren so sehr unsere Schöpfung, dass wir sie immer wieder heil nach Hause bringen wollten. Dazu machte man dann ein Landegeräusch und sagte dem Anderen „Meine Rakete ist gelandet, du hast gewonnen.“ Worauf der Andere ebenfalls seine Rakete zur Landung brachte.
Manchmal stellte ich einen Rekord auf und ließ meine Rakete erst am nächsten Abend landen. Worauf dieser Rekord gleich wieder gebrochen wurde. Trotzdem ließen wir unsere Raketen nicht all zu lange fort. Ein gruseliges Gefühl packte mich jedes Mal, wenn ich an die dunklen Weiten des Weltraums dachte.
Ich stellte mir vor, dass die Menschen einen Astronauten hochschossen, damit er fremde Planeten entdeckt. Der Raumfahrer fliegt sehr lange, einige Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Ich stellte mir weiters vor, dass die Menschen irgendwann diesen Raumfahrer vergessen würden, dass sie vergaßen, dass sie eine Rakete mit einem Raumfahrer auf die Reise geschickt hatten.
Sie holten die Rakete nicht mehr zurück. Raketen konnten damals nicht aus eigener Kraft fliegen, sie wurde immer von der Bodenstation in Houston gesteuert. Und so musste die Rakete ewig in der Dunkelheit dahinfliegen.
Vielleicht drang sie in fremde Sonnensysteme ein und die Außerirdischen glaubten an einen Angriff auf ihre Welt und nahmen den Astronauten gefangen. Oder sie fraßen ihn auf, weil er ja doch aus Fleisch bestand. Oder sie Quälten ihn, weil sie herausfinden wollten woher er kam. Würde der Astronaut die Erde verraten? Vielleicht experimentierten sie ja auch mit ihm, so wie ich mit meinem Hamster, den ich einmal mit Fallschirm aus dem Fenster in den Hof fallen ließ. Schrecklich!
Nein, das durfte nicht passieren. Deshalb mussten unsere Raketen landen. Es erforderte viel Mut, sie mehrere Tage fliegen zu lassen.
Eines Tages, meine Rakete war auf Erkundungsflug, stand neben meinem Bett ein Hundeartiges Wesen. Obwohl es im Zimmer dunkel war, konnte ich es genau sehen. Ich wusste sofort, dass es die ganze Zeit unter meinem Bett war. Das Tier war leuchtend blau und kam vom Mond. Auch das wusste ich sofort. Konnte ich die Gedanken des Wesens lesen?
Augenblicklich durchfuhr mich ein tödlicher Schrecken: Es will uns fressen! Ich weckte Gerhard, der bereits eingeschlafen war und wir liefen so schnell wir konnten im Bogen um das Wesen herum durch Vorzimmer und Küche ins Schlafzimmer der Eltern. Mein Vater war nicht Zuhause, unsere Mutter war ganz alleine.
„Mama, Mama, schnell mach die Türe zu, da draußen ist ein Mondvieh, das will uns fressen!“ rief ich mit überschlagender Stimme. Meine Mutter konnte es gar nicht glauben, Aber dann hörten wir die Geräusche in der Küche. Als wenn das Tier alle Kastentüren öffnete und in alle Schubladen hineinsehen würde. Jetzt fürchtete sich auch Mama. Sie warf die Türe zu und stemmte ihre Füße dagegen. Sofort hörten wir auf der anderen Seite der Türe ein dumpfes plumpsen. Dann sahen wir, wie sich die Türschnalle langsam bewegte. Das Mondvieh versuchte die Türe aufzudrücken.
„Helft mir bitte! Schnell, „ rief uns Mama, „Ich schaffe es nicht alleine!“ Ich traute mich nicht, der Türe zu nahe zu kommen. Wir hörten kratzgeräusche an der Türe. Das Vieh kratzte und fauchte immer wilder. „Wie lange hält denn diese Türe?“ kreischte ich in meiner verzweifelten Angst. Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht bewegen und stand einfach nur da. Ich sah meine Mutter, wie sie mit aufgerissenen Augen gegen die Türe stemmte. Gerhard lehnte statt an der Türe an Mama und hielt sich an ihren Beinen fest. Es rumpelte in der Küche. „Jetzt holt es das große Küchenmesser“ schrie ich. Immer wieder und wieder warf sich das Mondvieh gegen die Küchentüre. Mamas Kräfte ließen nach und mit einem Ruck wurde die Türe aufgestoßen. Wir rannten alle drei schreiend auf die gegenüberliegende Wand zu den offenen Fenstern und schrieen hinaus um Hilfe. Das Mondvieh konnte uns schon fast an den Beinen packen, da hörten wir den Schlüssel an der Wohnungstüre. „Papa!“, durchfuhr es mich „Papa ist da“ rief auch Gerhard erleichtert.
Als mein Vater durch die Küche ins Schlafzimmer kam, verschwand das Mondvieh zwischen seinen Beinen in unser Kinderzimmer und schlüpfte unter mein Bett. Erst einige Zeit später als ich träumte, dass Papa von wilden Hexen gefangen genommen wurde, vergaß ich das blaue Mondvieh.