Es ist der 3. Februar 1800
Alexander von Humboldt hatte die Position der Aus- sowie Einmündung des Cassiquiare mit Hilfe der Gestirne bestimmt. Er hatte damit bewiesen, dass der Cassiquiare als Kanal zu verstehen ist, der aus dem oberen Orinoco herausströmt und im Süden in den Rio Negro fliesst und dass somit natürliche Kanaele auch im ebenen Terrain vorkommen knextpageönnen, im Gegensatz zur Lehrmeinung der europäischen Geologen.
Alexander von Humboldt fuhr mit seinem Begleiter Aime Bonpland, einem Botaniker aus La Rochelle in Frankreich und einigen eingeborenen Helfern samt dem noch verbliebenen Gepäck, tagelang im Kanu den Rio Negro flussabwaerts um nach Manaus zu gelangen, wo er für neue Reisepapiere sorgen wollte, denn seine waren an den letzten Stromschnellen des Cassiquiare vor dem Rio Negro mitsamt den gesammelten Artefakten der Amazonasvoelker und dem akribisch zusammengestellten Herbarium des Bonpland ein Fraß der schäumenden Fluten geworden.
In Manaus, zu jener Zeit unter portugiesischer Verwaltung, sollte der Gesandte des deutschen Kaisers, der Konsul Arthur von Grolimund beim Gouverneur von Manaus eine Audienz erwirken bei der Humboldt um neue Reisepapiere ansuchen wollte.
Humboldt und Bonpland trafen gegen Mittag im Hause des Konsuls ein und wurden von einer bronzehäutigen, erhabend blickenden, elegant gekleideten eingeborenen Frau empfangen. Ihre edle Haltung war nicht die einer Dienstmagd und Humboldt wusste nicht recht welches Höflichkeitsprotokoll nun wohl angebracht wäre. Gottlob stellte sich die Frau bald selbst als Maria Augustinha vor und war die Ehegattin des ehrwürdigen Konsuls. Sie hieß die beiden Reisenden Platz zu nehmen und brachte ihnen einen Krug mit Wasser zur Erfrischung.
Als wenig Später Arthur von Grolimund, der Konsul eintraf und sie nach ausgiebigen Begrüssungen und Ehrbezeugungen die Formalitäten hinter sich gebracht hatten, lud der Konsul seine Gäste zum Mittagessen ein.
Auf einem langgestreckten Tisch auf der Terasse des aus Holz und Stein gebauten Hauses wurden die Speisen aufgedeckt. Es gab Rinderbraten, Eierteigwaren, Bohnensprossen, Tomaten und trockene, geschrotete Wurzeln der Maniok-Staude genannte Farinha, die gegen Malaria schützen soll.
Zu trinken gab es wieder dieses köstlich erfrischende Wasser aus dem siebenundsechzig Meter tiefen Brunnen.
Der Gastgeber meinte, nun habe er endlich ein Alter erreicht, das der Tiefe seines Brunnens entspräche.
Zum Abschluss des reichen Mahles holte der Hausherr eine Flasche aus den kühleren Bereichen seiner Residenz und stellte sie einladend in die Mitte der Tafel. Es handelte sich um feines Kirschwasser, was nicht zuletzt Aufschluss über die Herkunft des Konsuls geben sollte.
Nachgefragt bestätigte Arthur von Grolimund seine schweizerische Abstammung. Humboldt hatte es schon auf Grund des Akzents vermutet.
Nun wurden eifrig Lebensgeschichten ausgetauscht und der Konsul erwähnt, dass seine elfjährige Tochter im Kirchenchor sänge und seit einiger Zeit sogar die Violine spielt.
Über seine Schulter hinweg rief er nach seiner Tochter Yasmin. Das bronzeschimmernde Mädchen mit dichten langen schwarzen Haaren und grünbraunen Augen erschien mit der Geige in der Hand, stellte sich am anderen Ende der Tafel auf und begann sofort einfache Lieder zu spielen. Man merkte, dass sie erst vor wenigen Monaten die ersten Geigenstunden erhielt, aber sie hatte bereits einen schönen gleichmaessigen Bogenstrich.
Und nun liebe Freunde, könnt ihr die Namen Alexander und Aime durch Herbert und Doris ersetzen.
Es ist der 5. Februar des Jahres 2009
Ja, es stimmt, mein Reisepass ist futsch. Gestohlen, oder verloren, egal wie, ich bin ohne Identität.
Das heisst, Doris muss allein weiterreisen, denn meine neuen Reisepapiere erlauben mir nur Brasilien zu verlassen und in Europa einzureisen.
Ich werde trotzdem versuchen über die Grenze nach Bolivien zu kommen.
Der Comandante an der bolivianischen Grenze wird mir wohl mit Höflichkeit alleine nicht erlauben einzureisen. Da werde ich universellere Signale sprechen lassen müssen. Zum Glück ist ja Fasching und alle wollen gut dastehen und ausgiebig feiern. Da lässt man die Quellen nicht versiegen.
Diese Geschichte ist wieder einmal typisch fuer unsere Art zu reisen.
Wir beschwören das Unvorhergesehene geradezu herauf. Das ist Teil des Abenteuers, wie hätten wir sonst den guten Arthur Grolimund und seine Familie kennengelernt?
Er selbst war so froh wieder einmal mit Menschen aus der alten Welt zu sprechen und Gedanken auszutauschen, dass er uns eine DVD geschenkt hat, mit einer Aufzeichnung der Oper Ça Ira von Roger Waters, aufgenommen im Teatro Amazonico, bei der seine Tochter mitgesungen hat.
Wir werden heute Abend gemeinsam ein Konzert besuchen.
6. Februar
Heute um 18:00 hat Doris mich verlassen und fährt mit dem Schiff den Rio Madeira stromaufwärts nach Süden zum Hafen der Stadt Puerto Velho.
Ich habe ihr noch die Hängematte am 2. Deck aufgeknüpft und dann „Auf Wiedersehen“ gewunken. Das Schiff verliess den schwimmenden Hafen mit dröhnenden Motoren im Dunst des Rio Negro.
Da steh ich nun, alleine und weiss gar nicht ob ich ihr folgen kann.
Meine Papiere kommen erst in ein paar Tagen an.
Nun kommt meine Einsiedlerseele wieder hervor. Zum Glück ist Manaus eine sehr symphatische Stadt, voller interessanten Menschen.
Ich sitze beim Kaffee und schaue ihnen zu.